Suche
Close this search box.
Partner:
Suche
Close this search box.
Partner:

Neues Waldsterben

Wissenschaft und Forstwirtschaft sind alarmiert

Eine Bundespressekonferenz thematisierte am 16. Juli 2020 die bedrohliche Lage des deutschen Waldes im Klimawandel. Die eingeladenen Wald- und Forstexperten informierten über Lösungsansätze, wie der Wald stabilisiert werden kann, damit er weiterhin alle für Natur, Wirtschaft und Gesellschaft wichtigen Ökosystemleistungen erbringen kann. Die Kernbotschaft: Ein gesunder Wald braucht eine zukunftsfähige, nachhaltige Bewirtschaftung und die Waldbesitzer ein Überlebensmodell, um „eine gigantische Wiederaufforstung und intensive Waldpflege“ zu bewerkstelligen.

Prof. Dr. Michael Müller von der Technischen Universität Dresden, Prof. Dr. Andreas W. Bitter, Vorsitzender von PEFC Deutschland e. V., Oberbürgermeister Peter Gaffert aus Wernigerode und Georg Abel, Bundesgeschäftsführer VERBRAUCHER INITIATIVE e. V., warnten gemeinsam vor einem „neuen Waldsterben“, gegen das das „erste Waldsterben“ vor 40 Jahren in der Retrospektive vergleichsweise harmlos erscheine. Prof. Dr. Michael Müller sagte: „Der ohnehin schon geschwächte Wald trifft auf die vielleicht größte globale Herausforderung, die Mensch und Natur seit der letzten Eiszeit bewältigen müssen: Den Klimawandel. Der ist nicht eingebildet, sondern bereits bittere Realität. Denn die verheerenden Dürresommer 2018/19 zeigten uns allen: Der Klimawandel ist in Deutschland angekommen, schneller und heftiger als selbst von vielen Warnern angenommen.

Ein zweites Waldsterben?

Professor Müller mahnte, dass Stürme, Hitze und Dürre und daraus folgend Schäden wie Windbruch und die massenhafte Ausbreitung von Borkenkäfern im Rahmen des Klimawandels noch häufiger auftreten und sich verstärken könnten. Geschwindigkeit und Stärke der Veränderungen machten deutlich, wie dringlich es ist, den Wald der Zukunft aufzubauen, der gesund und klimastabil ist. Warum dies jetzt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei und nicht „vom althergebrachten Modell der Forstwirtschaft“ bewältigt werden kann, erläuterte Prof. Dr. Andreas W. Bitter, Vorsitzender der Waldschutzorganisation PEFC Deutschland: „Buchstäblich jeder profitiert von den Ökosystemleistungen des Waldes: von frischer Luft, reinem Trinkwasser, Erlebnis- und Erholungsangeboten, vom Ökorohstoff Holz und anderem mehr. Um sie zu sichern, brauchen wir eine gigantische Wiederaufforstung und intensive Waldpflege, die die Familienbetriebe allein nicht finanzieren können. Der Erlös aus dem Holzverkauf deckt diese Kosten nicht, weshalb wir zu einem neuen Modell kommen müssen. Die Leistungen für Natur, Klima und Gesellschaft müssen honoriert werden, sonst stehen Wald und Forstwirtschaft vielerorts vor dem Aus.“ 

Die Regionen sind mehrfach bis ins Mark getroffen

Wie stark solch ein Schreckensszenario die Regionen in Deutschland treffen würde, veranschaulichte Peter Gaffert, Oberbürgermeister von Wernigerode und ehemaliger Nationalparkleiter. Er wies auf direkte finanzielle Einbußen und erhebliche Mehraufwände für die waldbesitzenden Kommunen im Kampf gegen Bodenerosion und Waldbrände hin. Zugleich rückte er einen bislang wenig beachteten Aspekt der Waldkrise in den Fokus, den Tourismus: „Das Entsetzen über ein komplett verändertes Waldbild ist bei den Sommergästen bei uns im Harz und in den anderen Mittelgebirgen groß, weil sie die Zusammenhänge nicht kennen, weil sie das Sterben nicht einordnen können. Bis zu sieben Millionen Harzbesucher fragen sich: Was ist hier eigentlich passiert? Für viele Regionen wäre das Wegbleiben der Touristen, die wegen der schönen Wälder kommen, eine zusätzliche wirtschaftliche Katastrophe.“

Welche Lösungsstrategien gibt es?

Die Experten richteten den Blick nach vorne. Als eine Lösungsstrategie beschrieben sie eine zukunftsfähige nachhaltige Waldbewirtschaftung. Dazu gehöre

  • der Aufbau von Mischbeständen, also Laub- und Nadelbaumarten nach ihrer Eignung für den jeweiligen Standort auszuwählen und zu mischen;
  • die Klimaanpassung der Wälder, indem klimaangepasste Baumarten die Stabilität und Vielfalt der Wälder erhöhen und gleichzeitig Kohlenstoffdioxid (CO2) binden;
  • eine kontrollierte, pflegliche Waldbehandlung, etwa beim Maschineneinsatz im Interesse des Bodenschutzes;
  • durch stetige Wiederaufforstung aus heimischem Saatgut die Wuchsdynamik des Waldes zu verstärken.

Letzteres können Unternehmen als Sponsoren und Bürgerinnen und Bürger durch die Teilnahme an Baumpflanzaktionen regional unterstützen, wie es bei uns mit Hilfe von PEFC geschieht“, sagte Oberbürgermeister Gaffert. Er ergänzte: „Wir veranschlagen für die Wiederaufforstung rund 30 Jahre.

Orientierung für nachhaltige Waldbewirtschaftung

Orientierung für diese weitreichenden Aufgaben gibt den Waldbesitzern der PEFC-Standard für nachhaltige Waldbewirtschaftung. Nach diesem regelmäßig angepassten Standard werden seit 1999 Wälder zertifiziert, sofern diese nach ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien nachhaltig bewirtschaftet werden. Er verlangt von Waldbesitzern die Einhaltung vieler Kriterien, die beim Aufbau und Erhalt eines gesunden, stabilen Waldes helfen. Bereits heute sind rund zwei Drittel aller Waldflächen in Deutschland PEFC-zertifiziert, das sind 7,6 von 11,4 Mio. Hektar, und werden entsprechend bewirtschaftet. Die Waldbesitzer werden regelmäßig überprüft, ob sie die Kriterien auch tatsächlich einhalten.

Wald nicht nur Opfer, sondern auch Retter

Auch wenn die Stabilität der Wälder in Deutschland durch die Auswirkungen des Klimawandels bedroht sei, sind unsere Wälder, so betonten die Experten ebenfalls, gleichzeitig auch eine wichtige Hilfe im Kampf gegen den CO2-Ausstoß. Im Holz der Bäume und im Boden können intakte Wälder große Mengen Kohlenstoff speichern. Wird Holz stofflich genutzt und zum Bau von Häusern oder zur Herstellung langlebiger Holzprodukte eingesetzt, bleibt der Kohlenstoff dort ebenfalls lange gespeichert. So kann Holznutzung aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern einen positiven Beitrag zur Klimabilanz leisten.

Die Verbraucher können helfen

Verbraucherinnen und Verbraucher können den Waldumbau und Klimaschutz unterstützen. Dazu achten sie beim Einkaufen auf Produkte aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern. Diese sind unter anderem erkennbar am PEFC-Siegel. Verbraucherschützer Georg Abel vom Bundesverband DIE VERBRAUCHER INITIATIVE e. V. erklärte: „Wald und Holz haben für die Verbraucherinnen und Verbraucher eine enorme Bedeutung. Zum einem emotional und gesellschaftlich, zum anderen für einen verantwortungsvollen, qualitätsorientierten Lebensstil. Die Potenziale sind da und längst noch nicht gehoben. Die Gelegenheit ist günstig, Holzprodukte aus garantiert nachhaltiger Waldbewirtschaftung bei Groß- und Privatverbrauchern bekannter zu machen. Wir brauchen eine breite Verbraucherinformation und akteurübergreifende Themenallianzen für Holz als nachwachsende, klimaschonende Alternative zu anderen Materialien. Dabei können Zertifikate wertvolle Dienste leisten.

Der Einladung des Bundespressekonferenz e. V. folgten (alphabetisch):

Georg Abel: Seit 1994 Bundesgeschäftsführer VERBRAUCHER INITIATIVE e. V.

Prof. Dr. Andreas Bitter: Seit 2015 Vorsitzender von PEFC Deutschland, Geschäftsführender Direktor des Institutes für Forstökonomie und Forsteinrichtung an der TU Dresden.

Peter Gaffert: Seit August 2008 parteiloser Oberbürgermeister der Stadt Wernigerode, Förster und Politiker, stellvertretender Vorsitzender von PEFC Deutschland. Von 1994 bis 2004 Leiter des Nationalparks Hochharz und von 2005 bis 2008 Leiter des Nationalparks Kellerwald-Edersee.

Prof. Dr. Michael Müller: Direktor des Institutes für Waldbau und Forstschutz an der TU Dresden, Professur für Waldschutz der Fachrichtung Forstwissenschaften in der Fakultät Umweltwissenschaften (früher Forst-, Geo- und Hydrowissenschaften) an der TU Dresden.